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Russlands Krieg in der UkraineGeopolitische und außenwirtschaftliche Auswirkungen in Afrika und Lateinamerika
- 25. Mai 2023
- Veröffentlicht durch: ema-wpadmin
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Weizen auf einem ukrainischen Kornfeld (Foto: Ilona Maksimova / Pixabay)
12. Juni 2023
von Dr. Georg Dufner und Thomas Schiller
Viel wird seit dem 24. Februar 2021 debattiert über die Auswirkungen des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auf Schwellen- und Entwicklungsländer in Afrika und Lateinamerika. Dabei zeigt sich, dass es der deutschen Politik und Wirtschaft – trotz vorhandener Think Tanks und Regionalexpertise – noch immer schwerfällt, deren Erkenntnisse in ihr Handeln und vor allem in die Entwicklung einer langfristigen Strategie gegenüber diesen Regionen einzubauen.
Politik und Wirtschaft in Deutschland werden in den nächsten Jahren weitaus stärker als bisher gezwungen sein, sich mit geostrategischen Fragen und regionalen Gegebenheiten auseinanderzusetzen, um so Quellen und Absatzmärkte zu diversifizieren und Klumpenrisiken zu verringern. Der russische Krieg gegen die Ukraine bestätigt diese Tatsache einmal mehr in dramatischer Weise. Sollte – was nicht unwahrscheinlich erscheint – sich der schwelende Konflikt zwischen den USA und dem Westen einerseits und China andererseits weiter vertiefen, wird Deutschland erneut gezwungen sein, Position zu beziehen. Und das nicht nur politisch, sondern auch in Form außenwirtschaftlicher Einschränkungen gegenüber der Zeit vor dem russischen Angriff, und damit verbunden, dem verstärkten Nachdenken auch über andere geopolitische Risiken.
Neue Märkte außerhalb Russlands und Chinas werden daher an Bedeutung gewinnen. In unserem kurzen Ausblick auf die zwei Großregionen Afrika und Lateinamerika wollen wir beurteilen, wie die Chancen stehen, dass dort vertiefte politische Beziehungen und neue Marktzugänge für deutsche Unternehmen und Investitionen entstehen können. Dabei sind vier Fragen zu beantworten: 1. Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf Afrika und Lateinamerika? 2. Welche für Deutschland relevanten Haltungen entwickeln sich daraus? 3. Wie beeinflusst dies die aktuelle Lage und die Akteure vor Ort? Und zuletzt:
4. Was müssen Wirtschaft und Politik daraus folgern? Diese Fragen sind auch vor dem Hintergrund grundsätzlicher politischer und ökonomischer Hintergründe zu beantworten. Denn es ist nicht erst der Krieg in der Ukraine, der die Frage nach dem deutschen und europäischen Engagement in Afrika und Lateinamerika stellt.
Afrika und Lateinamerika: weder Ost noch West – our interests first
Nach Befürchtungen, von Versorgungsproblemen (insbesondere bei Nahrungs- und Düngemitteln) und steigender Inflation betroffen zu sein, haben sich Ängste vor massiven direkten wirtschaftlichen Folgen für Lateinamerika aber auch für Afrika überwiegend nicht bewahrheitet. Ganz im Gegenteil haben die großen Agrarexporteure Brasilien und Argentinien, ebenso wie viele rohstoffexportierende Länder im Andenraum vom Krieg in Europas Osten profitiert. Das führte soweit, dass selbst Pariastaaten wie Venezuela im Rahmen von Öllieferungen von den USA wieder umworben werden. Der ölexportierende Kleinstaat Guyana profitiert – auch dank der Vermeidung russischer Ölimporte im Westen – von den höchsten Wachstumsraten weltweit. Das Gleiche gilt in anderer Form für Afrika. Die Volkswirtschaften des Kontinents kämpfen zwar schon länger mit zahlreichen Herausforderungen (in der Folge der COVID Pandemie und aufgrund zahlreicher interner Probleme), haben sich aber in den Augen mancher Beobachter robuster als erwartet gezeigt. Zudem erregt Afrika gerade auch ökonomisch seit dem Beginn des Ukraine Krieges noch mehr Interesse als zuvor. So sind beispielsweise Mauretanien und Senegal noch mehr als bisher in den Blick deutscher und europäischer Politik geraten als künftige Lieferanten von Öl und vor allem Erdgas. Vor dem Hintergrund des politischen Willens, erneuerbare Energien zu fördern und auch für Deutschland zu erschließen (Stichwort „Grüner Wasserstoff“), hat sich zudem in den letzten Monaten eine intensive Reisediplomatie seitens der Bundesregierung in Afrika entwickelt: Rund um das Thema Erneuerbare Energien fanden u.a. Besuche in Namibia und Südafrika statt. Dieses verstärkte Interesse ist in Afrika nicht unbemerkt geblieben.
Lateinamerika ist in der Ukraine-Frage wie so oft politisch heterogen. Das rechts-links Schema hilft bei der Kategorisierung wenig weiter. Festzuhalten ist, dass die generelle Ablehnung der russischen Invasion auf dem Subkontinent recht stabil bleibt. (In der Resolution der VN-Generalversammlung 2022 enthielten sich lediglich Kuba, El Salvador, Nicaragua und Bolivien, Venezuela blieb der Abstimmung wegen Suspendierung fern. Im Februar 2023 blieb dieses Bild weitgehend unverändert, mit dem einzigen Unterschied, dass das autoritär regierte Nicaragua ins ablehnende Lager gewechselt war.) In eine alarmistische „Dominotheorie 2.0“ muss man also nicht verfallen. Die Ablehnung des russischen Angriffs auf politischer Ebene bleibt deutlich. Linke Regierungen – insbesondere in Argentinien, Mexiko und neuerdings Kolumbien – spielen zwar besonders laut auf der antiamerikanischen Äquidistanz-Fidel, werden aber weder dadurch noch durch die Verweigerung von Waffenexporten an die Ukraine prorussisch oder generell antiwestlich. Dass genau differenziert werden muss und dass beispielsweise die chilenische Linke nicht in gleichen Niveau dem Populismus frönt, zeigte sich in Präsident Borics vehementer Verurteilung des russischen Angriffs.
Allerdings ist der Wille, aus der politischen Verurteilung Russlands auch wirtschaftliche Nachteile in Kauf zu nehmen – etwa im Rahmen von Sanktionen – in Lateinamerika so gut wie nicht vorhanden. Das Verhalten von Brasiliens Präsident Lula in puncto internationaler Positionierung kann insofern als repräsentativ genommen werden, dass Lateinamerikas Regierungen Ihre Unabhängigkeit von Europa und den USA – auch aus historischen Gründen – unterstreichen. Zugleich zeigen die realen Ergebnisse Lulas‘ Besuch in Peking, dass man auch China differenziert zu betrachten weiß.
In Afrika ist die Lage ähnlich. Trotz der Befürchtungen, die auch medial im Westen sehr prominent transportiert werden, dass zahlreiche afrikanische Staaten sich Putins Russland an den Hals werfen könnten, ist die Sympathie für Russlands Angriffskrieg insgesamt nicht groß. Gleichwohl gibt es aber ebenfalls eine deutliche Distanz zur Position des Westens im Sinne einer eindeutigen Parteinahme pro Ukraine. Die meisten afrikanischen Staaten achten auf Äquidistanz, einige Länder gehen allerdings weiter. Südafrika hielt beispielsweise jüngst ein gemeinsames Marinemanöver mit Russland und China vor seiner Küste ab. Auch zeigen die zahlreichen Enthaltungen afrikanischer Staaten bei den einschlägigen UN-Resolutionen diesen Willen, Distanz zu halten. Zudem ist zu beachten: Ein gewisses anti-westliches Ressentiment ist in vielen afrikanischen Staaten weit verbreitet. Es wird dabei die Frage gestellt, warum eine derart große Unterstützung des Westens für die Ukraine möglich ist, bei vielen afrikanischen Konflikten, u.a. im Sahel, die militärischen Hilfsleistungen an die Streitkräfte vor Ort demgegenüber deutlich geringer ausfallen. Festzuhalten ist zudem:in einigen afrikanischen Staaten ist Russland heute präferierter Partner. So operieren Söldner der Gruppe „Wagner“ u.a. in Mali oder in der Zentralafrikanischen Republik.
Insgesamt gilt also: In Afrika und Lateinamerika gibt es keine grundsätzliche Sympathie für den russischen Angriffskrieg. In vielen Ländern Afrikas und den hart linken Staaten Lateinamerikas ebenso wenig aber eine eindeutige Positionierung gegen Russland. Der Westen, das wird seit Jahren immer deutlicher, ist eben nur ein Partner unter anderen. Dies gilt politisch, aber eben auch ökonomisch.
Battlegrounds: wird der Westen von anderen Akteuren ausgebremst?
Seit langem, nicht erst seit der russischen Invasion der Ukraine, wird über ein verstärktes wirtschaftliches Engagement in Afrika und Lateinamerika gesprochen.
Bundeskanzlerin Merkel betonte beim Weltwirtschaftsforum in Davos 2018, man habe die „Herausforderung, Kooperationen mit Afrika einzugehen“, Deutschland habe „ein tiefes Interesse daran, dass sich Afrika vernünftig entwickelt“, für Mittelständler entstünden „interessante Perspektiven“. Allerdings ist faktisch bisher noch zu wenig passiert. Ein Beispiel hierfür ist der „Compact with Africa“, der 2017 unter der deutschen G20-Präsidentschaft lanciert wurde. Ziel: eine Stärkung der privaten Investitionen in Afrika. Die Resultate sind jedoch bescheiden.
Sicher, es gibt sie, die traditionellen Standorte deutscher Unternehmen, in Marokko und Südafrika beispielsweise oder in Brasilien und Mexiko. Aber eine wirkliche Dynamik hat sich nicht eingestellt, beide Weltregionen sind bisher etwas für „Kenner“. Währenddessen hat sich die Präsenz u.a. von chinesischen oder türkischen Unternehmen beständig erhöht: im Infrastruktursektor durch Großunternehmen aber auch durch KMU und kleinere Einzelunternehmer.
In Afrika sind beispielsweise türkische Firmen mit zahlreichen infrastrukturellen Großprojekten präsent: sei es der neue Flughafen in Niamey, der Hauptstadt von Niger oder das Fußballstadion in der Metropolregion Dakar im Senegal – allesamt durch türkische Unternehmen ausgeführte (und teilweise auch im Weiteren betriebene) Projekte. Immer wieder unterschätzt wird auch die Rolle von Turkish Airlines. Die Airline fliegt nahezu jede größere Stadt auf dem afrikanischen Kontinent an, der Flughafen in Istanbul ist ein zentraler, global verbindender Hub für Sub-Sahara Afrika, aber auch die MENA Region geworden. Turkish Airlines, aber auch die symbolträchtigen Infrastrukturprojekte, sind zudem türkische Einflussinstrumente auf dem Kontinent.
Die ökonomische Präsenz Chinas in Afrika wird häufig auf die prominenten, staatlich getriebenen Projekte im Rahmen der „Neuen Seidenstraße“ („Belt and Road Initiative“) reduziert. Pars pro toto steht dafür die umstrittene Bahnlinie zwischen Mombasa und Nairobi in Kenia. Auch ist der chinesische Einfluss selbst an Regierungsgebäuden in Afrika sichtbar: In der mauretanischen Hauptstadt Nouakchott beispielsweise findet man an zahlreichen neuen Regierungsgebäuden den Hinweis, dass diese mit Unterstützung der Volksrepublik China errichtet wurden.
Dabei wird jedoch häufig die Präsenz von Hundertausenden chinesischen Klein- und Kleinstunternehmern auf dem Kontinent vergessen. Die Realität der chinesischen Präsenz in Afrika wird heute nicht zuletzt durch diese Vielzahl an Kleinunternehmern geprägt. Schon vor 20 Jahren fanden sich in den Basaren und Souks der algerischen Hauptstadt Algier zahlreiche chinesische Händler. Und diese Präsenz hat sich in Afrika nahezu überall weiter verstärkt. Dabei ist es wichtig zu verstehen, dass Afrika für China als Absatzmarkt fast noch interessanter ist denn als Rohstofflieferant. Auch wenn das letztere Thema eine höhere mediale Aufmerksamkeit genießt.
Die Präsenz Chinas in Lateinamerika ist insbesondere seit dessen Eintritt in die WTO 2001 stetig gewachsen. Die Volksrepublik ist in einer Vielzahl von Infrastrukturvorhaben involviert und konkurriert mit Europa um die Nahrungsmittel und Rohstoffe der Region sowie als Importeur von verarbeiteten Produkten mit höherer Wertschöpfung, etwa im Konsumbereich oder bei Kraftfahrzeugen. Die chinesische Unterstützung für Russlands imperiale Kriege hat selbst unter Lateinamerikas lautesten „Antiimperialisten“ nichts an der Weiterführung dieser Wirtschaftsbeziehungen geändert, auch wenn das chinesische Verhalten regelmäßig negative Presse hat.
Exemplarisch dafür kann stehen, dass der von Deutschland vielumworbene brasilianische Staatspräsident Lula bereits Mitte April, wenige Wochen nach der Abreise deutscher Minister aus Brasilia, mit einer hochrangigen Handelsdelegation nach Peking flog. Für 2023 wird für Lateinamerika nur mit einem mageren BIP-Wachstum von 1,3 % gerechnet,weshalb mit keinerlei Konzessionen im Bereich der wirtschaftlichen Sanktionierung Russlands zu rechnen ist. Jedoch ist auch nicht mit dem anderen Extrem einer ausschließlichen Fokussierung auf China zu rechnen.
Ein weiteres Beispiel: Die linksautoritäre Regierung Boliviens entschloss sich Ende Januar 2023, dass ein chinesisches Konsortium die weltgrößten Lithium-Vorhaben im Salzsee von Uyuni ausbeuten darf. Das massive und ungehemmte Lobbying des chinesischen Staatskapitalismus, verbunden mit Partikularinteressen auf bolivianischer Seite hatte zweifellos großen Einfluss auf die Ausbootung des deutschen Konkurrenten ACISA im Jahr 2019. In solchen Fällen sollten deutsche Akteure in Zukunft die (Interessen-)Lage vor Ort realistischer einzuschätzen wissen, wenn sie Erfolg haben oder zumindest ihre Chancen einschätzen wollen.
Deutschlands Partner in Lateinamerika und Afrika sind nicht naiv, und ihre Weltsicht ist nicht schwarz-weiß. Viele Länder versuchen schlicht ihre Wirtschaftsbeziehungen zu optimieren, verschieden Optionen zu prüfen und so Verhandlungspositionen zu verbessern. Dabei werden die Vor- und Nachteile westlicher und anderer Partner kühl abgewogen – und auch Russlands Überfall hat darin nichts Grundlegendes geändert. Man ist sich der Risiken des Engagements Chinas oder der Türkei durchaus bewusst. Die Abwesenheit Europas und insbesondere Deutschlands, vor allem bei dringend benötigten Infrastrukturprojekten, treibt diese Länder jedoch oft in die Arme der Volksrepublik und anderer Partner. Deren Engagement in Handel, Investitionen und Krediten ging zwar zuletzt aufgrund geringeren eigenen Wachstums zurück. Jedoch wird die Tatsache, dass Europa und die USA u.a. für chinesische Investments mittlerweile schwierige Terrains sind, während das chinesische Engagement in Afrika und Lateinamerika überaus willkommen ist, dafür sorgen, dass beide Regionen attraktive Ziele bleiben. Nicht allein für China oder die Türkei.
The long now: politische und ökonomische Konsequenzen
Europäische Unternehmen sind strikteren Regeln unterworfen als ihre Konkurrenten aus beispielsweise China oder Indien. Sind können – und dürfen – Vorgaben in Bereichen wie Arbeitsschutz, Nachhaltigkeit, Korruption oder Menschenrechten nicht ignorieren. Die Realität unternehmerischer Tätigkeit in Afrika und Lateinamerika sieht jedoch häufig anders aus. Für viele Partner vor Ort sind europäische Standards Ausdruck von Bevormundung, ja von „Neokolonialismus“.
Es gibt in allen Ländern Afrikas und Lateinamerikas einen mehr oder weniger stark ausgeprägten antikolonialen Reflex, der sich gegen direkte Beeinflussung ebenso richtet wie gegen moralische Bevormundung, und das gilt auch in globalen Fragen. Dies bedeutet in letzter Konsequenz, dass Deutschland nicht erwarten kann, dass außereuropäische Staaten automatisch dieselben Standards verfolgen wie der Westen. Stattdessen sollte man sich im Kontext des globalen Konflikts zwischen Autoritarismus und Demokratie darauf fokussieren, welche globalen Standards tatsächlich unerlässlich sind. Und selbstverständlich können in Ländern mit schwachen Kontrollinstanzen hinter der Ablehnung von Standards auch schlichte Partikularinteressen stehen.
Das Decoupling von Russland und ein möglicherweise bevorstehendes von China stellt insbesondere mittelständische Unternehmen, die sich kein separates intra-China-Geschäft leisten können, vor tiefgreifende Herausforderungen. Selbst wenn es nicht zu weiteren Eskalationen kommen sollte, haben spätestens die Corona-Pandemie und die damit verbundenen Verwerfungen im internationalen Handel den Imperativ zur Diversifizierung der Lieferketten überdeutlich gemacht.
Afrika und Lateinamerika haben massive wirtschaftliche und soziale Einschnitte durch die Corona-Krise erlebt, die sich glücklicherweise durch die russische Invasion in der Ukraine nicht wiederholt haben. Im neuen globalen Szenario haben beide Regionen eine gestärkte Verhandlungsposition, die es für Deutschland nicht einfacher machen wird neue Engagements zu beginnen. Man ist sich – übrigens schon seit dem Kalten Krieg – sehr bewusst, dass die Interessen der Machtblöcke hervorragend gegeneinander ausgespielt werden können und der eigene Marktwert im Steigen begriffen ist. Dies sieht man beispielhaft an den Forderungen afrikanischer Regierungen im Bereich des Rohstoffsektors: Guinea aber auch Nigeria haben jüngst klar gemacht, dass sie Bergbaulizenzen an eine Ansiedlung weiterverarbeitender Industrie knüpfen wollen. Inwieweit dies unter den gegebenen Bedingungen überhaupt realistisch ist, steht natürlich auf einem anderen Blatt. In Chile könnte Europa beim Lithiumabbau zum Zuge kommen, wenn neben Investitionen auch Partnerschaften in Ausbildung und Technik mit lokalen Unternehmen zustande kämen.
Was bedeutet das für unternehmerisches Engagement in Afrika und Lateinamerika?
Die Antwort auf die aktuelle Lage globaler Unsicherheit in Bezug auf Akteure wie Russland und nun noch viel mehr China muss daher lauten: Abhängigkeiten diversifizieren, neue Partner und Märkte suchen, Risiken verringern. Dieses Vorhaben ist alles andere als einfach, es braucht Knowhow, Zeit und Vorbereitung sowie einen realistischen Blick auf das Machbare. Chancen eröffnen sich aber denjenigen, die bereit sind, sich wirklich auf die beiden Kontinente einzulassen.
Was muss daraus für Deutschland folgern? Drei Dinge müssen parallel betrieben werden: Erstens: Die konstante Intensivierung und qualitative Aufstockung der deutschen Außen- und Außenwirtschaftspolitik, insbesondere auf der Regierungsebene (Stichwort: Nutzung von Regionalexpertise, Generierung einer ebenso realistischen wie in den Mitteln flexiblen Strategie). Außenwirtschaftspolitik darf nicht nur Besuchsdiplomatie sein, so wichtig diese ist. Es ist zum Beispiel unverständlich warum – anders als andere westliche Staaten – die deutschen Botschaften im Bereich der Außenwirtschaft nicht aktiver aufgestellt sind. In vielen Ländern Afrikas oder Lateinamerikas gibt es eben keine starke Präsenz einer AHK. Umso wichtiger wird – wie beschrieben – die Nutzung von Expertise und Erfahrung.
Zweitens: Business und Entwicklungszusammenarbeit müssen stärker Hand in Hand gehen und verschränkt gedacht werden. Hier existiert noch immer ein enormes Potential, u.a. im Bereich PPP. Die noch immer stark auf Wohltätigkeit ausgerichtete Arbeit der deutschen EZ-Organisationen muss dringend um eine stärkere PPP-Komponente ergänzt werden, die der deutschen Wirtschaft – insbesondere bei größeren Vorhaben in herausfordernden Partnerländern – Türen öffnen. Ein privatwirtschaftliches Engagement Europas, dass auch nur annähernd dem chinesischen Staatskapitalismus oder der Flexibilität außereuropäischer Unternehmen, die nicht vergleichbaren Standards unterworfen sind, Paroli bieten kann und den erfolgreichen Markteinstieg erlaubt, kann damit aktiv unterstützt werden. Und zwar eben gerade ohne Abstriche an Werten und Rechtsgrundsätzen vornehmen zu müssen.
Und drittens: Deutsche Unternehmen müssen bereit sein selbstständig aktiv zu werden. Letzteres erscheint auch aufgrund der Realitäten in Afrika und Lateinamerika eine Grundvoraussetzung: denn nur wenn Unternehmer Marktchancen sehen, bereit sind diese zu ergreifen und entsprechend zu investieren, werden die enormen Chancen auch genutzt werden können.
Afrika und Lateinamerika wollen keine Wohltätigkeit sondern Partnerschaften auf Augenhöhe und im gegenseitigen Interesse. Die mit den „Business Scouts for Development“ der GIZ oder Africa Connect gestarteten Initiativen sind lobenswert, aber nicht ausreichend. Inwiefern die EU-Initiative „Global Gateway“ nach der durch Russlands Invasion erzwungenen Verzögerung nun Fahrt aufnehmen wird, muss sich erst noch zeigen. Zu beobachten wird ebenfalls sein, inwiefern die Anreize im Rahmen des US-amerikanischen Inflation Reduction Acts Investitionen in die USA umleiten werden und so die Gesamtlage verändern können.
Europäische und vor allem auch deutsche Unternehmen haben zu Recht einen breiten Business-Ansatz: Nachhaltigkeit, sichere, aber auch tragfähige Lieferketten mit Blick auf Menschenrechte und Umweltstandards gehören heute zur DNA Europas und seiner Unternehmen. Dies erwarten auch Kunden und Geschäftspartner.
Deutschland muss sich jedoch kritisch hinterfragen, ob alle Anforderungen, die wir aktuell an unsere Partner – explizit oder implizit – stellen berechtigt und passend sind. Sicher ist nur eines: Der moralische Zeigefinger, verbunden mit mangelnder Marktkenntnis verursacht in Afrika und Lateinamerika garantierte Ablehnung und antikolonialen Reflex. Wenn wertgeleitete deutsche und europäische Außenpolitik und Wirtschaftsbeziehungen gegenüber Lateinamerika und Afrika Erfolg haben sollen, muss zuerst eine Bestandsaufnahme stattfinden, gefolgt von einer realistischen Strategie mit kohärenter und intensiver Kommunikation gegenüber Partnerländern.
Unternehmerische Chancen gibt es in Afrika und Lateinamerika zu Genüge, nicht nur bei Erneuerbaren, Rohstoffen und Konsumgütern. Dass die Risiken bewältigbar sind, zeigen auch mit Deutschland besser vergleichbare Akteure als der chinesische Staatskapitalismus: Die Türkei, Frankreich, die Niederlande, Großbritannien oder Italien sind in Afrika engagiert, in Lateinamerika handeln US-amerikanische und spanische Unternehmen seit langem sehr erfolgreich. Man darf sich also fragen: Warum und worauf wartet Deutschland noch?