Mexiko vor einer neuen Ära?Was Claudia Sheinbaums Wahl für die Wirtschaft bedeutet
- 18. Juni 2024
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Volksnah, aber ohne Hausmacht: Mexikos neue Präsidentin Claudia Sheinbaum (Foto: Flickr Claudia Shein, Public Domain)
18. Juni 2024
von Dr. Georg Dufner
Erstmalig in der Geschichte Mexikos wurde am vergangenen 2. Juni mit Claudia Sheinbaum (aus der linken Partei MORENA) eine Frau ins Präsidentenamt gewählt, welches sie am 1. Oktober antreten wird. Sheinbaum ist das politische Ziehkind des scheidenden Präsidenten Andrés Manuel López Obrador (AMLO) – jedoch ohne relevante Hausmacht in ihrer Partei.
Überwältigende Mehrheit für MORENA
Abgesehen davon, dass Sheinbaum die erste Frau an der Staatsspitze Mexicos ist, transportieren die Ergebnisse des größten Wahltags in der Geschichte des Landes vor allem eine Nachricht: Kontinuität. Denn auch bei den Wahlen von neun Gouverneursposten gingen sieben an die neue und alte Regierungspartei MORENA und ihre Alliierten. Damit regieren in 23 der 32 mexikanischen Bundesstaaten Gouverneure der Regierungspartei. [1]
Das Wahlergebnis zur Präsidentschaft mit 59,8 % für Sheinbaum unterstreicht die große Machtfülle der neuen Amtsträgerin. Oppositionskandidatin Xóchitl Gálvez (Mitte-Rechts) mit 27,5 % blieb weit abgeschlagen. In Senat und Parlament bleibt MORENA nur knapp unterhalb der absoluten Mehrheit [2], erreicht diese jedoch mit ihren beiden Verbündeten, der Arbeitspartei PT bzw. der grünen Partei PVEM. Damit sind tiefgreifende Verfassungsänderungen denkbar.
AMLOs Erbe – Soziales und (Un-)Sicherheit
Die Beliebtheit des Amtsinhabers López Obrador hatte mehrere Gründe, der entscheidende Erfolg seiner Amtszeit dürften jedoch die umfangreichen Sozialprogramme und die Erhöhung des Mindestlohns gewesen sein. Auch wenn Direktzahlungen und staatliche Lohnsetzung nicht den europäischen Lehrbuch-Vorstellungen entsprechen: Beides sicherte ihm die Unterstützung breiter Wählerschichten. Große staatliche Infrastrukturvorhaben wurden angestoßen, darunter eine Eisenbahnverbindung für Fracht zwischen Pazifik und Atlantik (Corredor Interoceánico del Istmo de Tehuantepec) [3], ein neuer internationaler Flughafen, eine Ölraffinerie sowie eine touristische Eisenbahn auf der Halbinsel Yucatán. Die Kosten und Bauzeiten liefen überall aus dem Ruder.
Gänzlich unerfüllte Versprechen hinterlässt AMLO insbesondere in der öffentlichen Sicherheit – über 170.000 Menschen fielen in den sechs Jahren seiner Amtszeit den Kartellen zum Opfer, über 44.000 Vermisste zählt die offizielle Statistik obendrein – beides historische Höchststände. Für Amtsträger, Kandidaten und Journalisten ist Mexiko ein besonders gefährliches Land. Gegenüber dieser desaströsen Bilanz verblasst die weitverbreitete Kritik an der sich kontinuierlich verschlechternden Gesundheitsversorgung und der anhaltend hohen Korruption fast.
Sheinbaums Mehrheit – stabil oder erdrückend?
In der Sozialpolitik stellt sich die neue Präsidentin voll in die Tradition ihres Vorgängers – selbst wenn diese nicht nachhaltig ist. Vage bleiben ihre Konzepte im Bereich Sicherheit. Die dirigistische Wirtschaftspolitik ihres Vorgängers – mit starkem Fokus auf große, auch fossile, Infrastrukturvorhaben – sind zweifelhafte Konzepte auf dem Weg zu Innovation und Wachstum. Wohl nicht ohne Grund wurden Wirtschaftlichkeitsstudien zu den o.g. Staatsvorhaben zur Verschlusssache erklärt.
Sicherheitsexperten weißen darauf hin, dass die ausufernde Nutzung der Streitkräfte im Inneren kein zukunftsträchtiges Modell ist, und fordern, dass Sheinbaum in den kommenden Jahren dafür sorgen müsse, dass Mexikos Polizeikräfte grundlegend reformiert und neu aufgestellt werden. [4]
Angesichts der Herausforderungen des Landes kann eine stabile Mehrheit als ein gutes Fundament angesehen werden, jedoch weisen Beobachter darauf hin, dass eine vergleichbare Machtfülle aus demokratischen Wahlen auch am Anfang des Chávez-Regimes in Venezuela stand.
In seinen verbleibenden vier Monaten im Amt plant AMLO eine Justizreform um u.a. das ihm zu unabhängige Verfassungsgericht – nach bolivianischem Vorbild – direkt wählen zu lassen. Es wäre zu hoffen, dass Sheinbaum AMLOs Verachtung für unabhängige Institutionen nicht weiterführen wird. Sicher kann man sich angesichts des langen Schattens des Amtsinhabers und der Nähe MORENAs zu linksautoritären Regierungen in Lateinamerika jedoch keineswegs sein. Für Wirtschaftsklima und Investitionen werden vor allem alle legislativen Vorgänge relevant, die Hand an die Unabhängigkeit der Justiz legen und damit die Rechtssicherheit negativ beeinflussen.
Positive Faktoren
Für den Standort Mexiko sprechen die bekannten Faktoren: Günstige und gut ausgebildete Arbeitskräfte, die geographische Nähe zu und der Freihandel mit den USA und Kanada sowie das Freihandelsabkommen mit der EU, die Brückenfunktion nach Südamerika. Neben den bekannten Wachstumspolen (bspw. Bajío, Nuevo León, Jalisco und der Ballungsraum der Hauptstadt) lohnt ein Blick auf weniger bekannte, aber zusehendes besser erschlossene Landesteile wie Veracruz, Oaxaca, Chiapas und Durango (hier v.a. Bergbau). Nicht ausgeschöpfte Potenziale gibt es in der Belieferung zahlreich vorhandener Industriekunden aus so gut wie allen Branchen, in der privaten Nutzung erneuerbarer Energien sowie in den Bereichen Effizienzsteigerung und Umwelttechnologie. Mit 130 Millionen Einwohnern und einer nicht unerheblichen Oberschicht (2021: 318.000 Millionäre laut Credit Suisse) bieten sich auch Möglichkeiten im Konsum- und Luxussegment.
Das Ende des „Super-Peso“ und des Nearshoring-Hypes
Das alleinige Vertrauen auf die Zugkraft von Nearshoring und Friendshoring reichten bisher erwiesenermaßen nicht aus, um Mexiko für Investoren maßgeblich attraktiv zu machen und weiter nach vorn zu bringen. [5] Mexikos BIP-Wachstum blieb in den vergangenen beiden Jahren hinter dynamischen lateinamerikanischen Staaten wie Kolumbien oder Peru zurück, und auch für 2024 wird ein geringerer Anstieg erwartet. Sheinbaum muss deshalb als Präsidentin neue wirtschaftspolitische Ideen einbringen und sich von der Institutionenverachtung ihres Vorgängers lösen. Umstrittene Verfassungsänderungen, die den Rechtsstaat bedrohen, werden von Investoren nicht goutiert, wie der Absturz des mexikanischen Pesos seit der Wahl illustriert. Die von AMLO als „Super-Peso“ gehypte Währung brach bis Mitte Juni ihren niedrigsten Wert seit Februar 2023 ein.
Ausblick: Kann sich Sheinbaum politisch emanzipieren?
Nachhaltigkeit in der Sozial-, Wirtschafts- und Innenpolitik sind notwendig, um die trotz Sheinbaums Wahlsiegs durchwachsende politische Bilanz MORENAs zu verbessern. Ob AMLO ihr zum Amtsantritt am 1. Oktober die umstrittene Justizreform schenkt, wird entscheidend sein für die Wahrnehmung Mexikos als rechtsstaatliches Land. Die Emanzipation der ersten Frau im „Palacio Nacional“ von ihrem politischen Ziehvater wird darüber wird darüber entscheiden, ob Nachhaltigkeit und Rechtsstaatlichkeit in Mexiko in Zukunft ausreichend Gewicht erhalten werden.
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[1] https://www.infobae.com/mexico/2024/06/03/asi-quedo-el-mapa-electoral-de-mexico-tras-las-elecciones-de-2024/
[2] https://computos2024.ine.mx/presidencia/nacional/candidatura
[3] https://www.freightwaves.com/news/mexico-aims-to-compete-with-panama-canal-by-using-cargo-trains
[4] https://mxdefenseandsecurity.com/2024/06/05/mexicos-president-elect-reflections-on-internal-and-international-security/
[5] https://www.handelsblatt.com/politik/international/nearshoring-westliche-unternehmen-investieren-kaum-in-lateinamerika/100031540.html